Den Ursprung von Disentis und das Kloster verbindet man mit der Klostergründung durch den Mönch Sigisbert und seinen Gefährten Placidus. Schwerlich schon um 614, wie es die Überlieferung wollte, doch wohl anfangs des 8. Jahrhunderts begab sich der Wandermönch Sigisbert rheinaufwärts und liess sich in der «Desertina» nieder. Sein Name und das Patronat des heiligen Martin weisen auf seine fränkische Herkunft. Sigisbert war vom Geiste der Kolumbanschule von Luxeuil getragen. Unterstützung fand er beim einheimischen Placidus, der wohl zu den mächtigen Besitzern gehörte, von denen die zeitgenössische «Lex Romana Curiensis» berichtet. Da aber der Landesherr, Präses Victor in Chur, die bisher bewahrte Sonderstellung Churrätiens durch den fränkischen Einwanderer gefährdet sehen mochte, liess er Placidus umhringen. Bis heute erinnert die Kirche Sogn Placi an die Stätte der Ermordung.
Eine umfangreiche Schenkung an das Kloster Disentis, als Sühneleistung des Churer Bischofs Tello für die Bluttat seines Vaters, des Präses Victor, stützt die Datierung der Disentiser Klostergründung auf den Anfang des 8. Jahrhunderts. Die umfangreichen archäologischen Grabungen von 1980 bis 1983 verweisen in die Zeit um 700 und könnten auf Placidus zurückgehen. Wohl unter Abt Ursicin entstand in Disentis in der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts ein eigentliches Kloster nach der Regel des heiligen Benedikt. Die Klosteranlage enthielt mit der Martinskirche, der Marienkirche und der Petruskapelle eine sogenannte «Kirchenfamilie». Disentis war im Begriffe, ein karolingisches Grosskloster zu werden.
Die frühe Klosterblüte erfuhr schwerlich durch den Sarazeneneinfall von 940 ein jähes Ende. Die Mönche waren ans Grossmünster in Zürich geflohen, kehrten jedoch zurück und begannen die Abtei neu aufzubauen. Sarazenennot und Passpolitik lenkten die Aufmerksamkeit der deutschen Kaiser auf das Kloster. Disentis wurde die Hüterin des Lukmanierpasses. Otto 1(936-973) und Friedrich I. Barbarossa (1152-1190) begingen diesen Weg in den Süden. Das Kloster erhielt Schenkungen bis in die Lombardei und wurde nun selbst aktiv in der Passpolitik und errichtete mehrere Hospize an der Lukmanierroute
Das Gebiet, das der Fürstabt beherrschte, streckte sich von den Felsen der Furka über der Oberalppass bis zu den Kornfeldern von Brigels. Nach der Entfremdung von Ursern blieb nur noch das enge Gebiet der Cadi die Hauptstütze des mittelalterlichen Klosterstaates. Aber die Äbte Johannes von Ilanz (1367-1401) und Petrus von Pontaningen (1402-1438) sahen über die Grenzen ihrer Herrschaft hinaus und erreichten 1395 und 1424 den Zusammenschluss der rätischen Dynasten und bündnerischen Gerichtsgemeinden zum Grauen Bunde. Als unmittelbare Nachbarn der Innerschweiz waren sie auch besorgt, dass der Graue Bund als erster unter den 3 Bünden sich 1497 als Zugewandter Ort in die Eidgenossenschaft aufnehmen liess. Das kloster stand also als Pate an der Wiege des späteren Kantons Graubünden.
Nach der schweren Zeit der Glaubensspaltung bestärkten im 16. Jahrhundert Abt Christian v. Castelberg, der Freund des hl. Karl Borromäus, und dann im 17. Jahrhundert Augustin Stöcklin das Kloster in seiner historischen Aufgabe. Das Kloser erlebte zur Barockzeit eine neue grosse Blüte. Die rege Bautätigkeit des 17. Jahrhunderts verwandelte so das Bündner Oberland im barocken Sinne in eine «Sakrallandschalt». Der Neubau des Klosters begann unter Abt Adalbert II de Medell (1655-1696) und Adalbert Ill Defuns (1696-1716). Sie erbauten Kloster und Kirche nach den Plänen vom Einsiedler Konventualen Bruder Caspar Moosbrugger (1656-1721) neu auf. Das Kloster als Ganzes erinnert an repräsentative Paläste der italienischen Renaissance und des frühen Barock. Die Klosterkirche mit der grosszügigen Raumwirkung gehört zum Kreise der Voralberger Bauschule des Barocks.
1798 - 1801 geriet Graubünden zwischen die Kriegsfronten Frankreichs und Österreichs. Da die französischen Heere 1799 in das Rheintal vorrückten, legten sie Kloster und Dorf in Asche. Mit der Brandschatzung von Kloster gingen nicht nur Kunstschätze, sondern auch Archive unwiederbringlich verloren. Die Äbte verloren ihre Fürstenwürde, das Kloster seine veltlinischen Besitzungen und fast die Hälfte des Klostervermögens. Und kaum hatte sich das Kloster, das in dieser Zeit auch die katholische Kantonsschule Graubündens beherbergte, wieder glücklich entfaltet, da wurde es 1846 nochmals ein Raub der Flammen.
Die Klosterfassade wurde nach dem Brand von 1846 vereinfacht und erhielt an der Stelle des Mansarddaches ein fünftes Stockwerk. In der Kirche sind nur noch Originale barocke Stukkaturen in den seitlichen Arkaden und den Emporen erhalten. Alles wurde neu afgebaut. Viele Altäre aus dem 16. und 17. Jahrhundert schmücken jetz die Klosterkirche. Sehr eindrucksvoll ist der Hauptaltar (1656), der aus der gotischen Kirche auf dem Geyersberg bei Deggendorf in Niederbayern stammt. Er ist eine frühbarocke Schöpfung von Melchior Stadler und Martin Leithner. Die Deckegemälde sind aus diesem Jahrhundert und stellen Szene dar aus dem Leben St. Benedikts und Historienbilder aus der Bündner Geschichte und dem Leben Plazidus und Sigisbert.
Die klosterfeindlichen kantonale Klostergesetz, das man 1861 in Chur geschmiedet hatte, brachten vollends die altehrwürdige Abtei an den Rand des Unterganges. Disentis war nur noch die Ruine eine grossen Vergangenheit. Die Verwaltung des Klosters wurde der Staatskontrolle unterstellt. Zur Restauration der Abtei kam es in 1880 nach einem Stimmungsumschwung im Volk und der Regierung, wofür der Disentiser Placi Condrau, der Trunser Politiker Caspar Decurtins und der Maienfelder Theophil von Sprecher gesorgt hatten. Mit Hilfe der Schweizerischen Benediktinetkongregation konnte sich das Kloster Disentis erholen und zu neuer Blüte heranreifen. Unter den Äbten Beda Hophan (1925-1963) und Victor Schönbächler (1963- 1988) konsolidierten sich das Kloster und die Klosterschule und wurden mehr und mehr zu einem regionalen Kultur- und Bildungszentrum.